Die drei weißen Mäuse
Vor langer Zeit war ein junger Köhler auf Wanderschaft. Er hatte gerade erst sein Handwerk erlernt und seinem alten Meister zu wahrem Wohlstand verholfen. Nun wollte der junge Köhler sehen, was es sonst noch so gab und zog in die Welt. Seine wenigen Habseligkeiten trug er in einem Bündel über seiner Schulter. Darin befanden sich auch drei schwarze Mäuse aus gebranntem Ton. Der junge Köhler wanderte über Wiesen und durch Wälder. Er lief durch tiefe Täler und erklomm die höchsten Berge. Als er viele, viele Tage gegangen war, kam er an einen Bach, in dem kaum Wasser floss. Das Gras war gelb, und die Blätter der Bäume lagen allesamt auf dem Boden. Er folgte dem Bach und kam zu einer alten Mühle.
Das Mühlrad stand still, und vor dem Haus saß ein alter Mann. Er sprach: „Was suchst du, mein Junge? Sieh selbst, hier ist nichts zu finden.“ „Ich wäre schon mit einem einfachen Nachtlager zufrieden“, antwortete der junge Köhler. „Ich will auch gerne dafür arbeiten.“ Und weil der alte Müller zwei kräftige Arme gut brauchen konnte, ließ er den jungen Mann in seine Mühle. „Du kannst gleich ein Feuer für den Abend machen.“ „Ein Feuer? Das kann ich!“, rief der Bursche, sprang gleich auf und suchte im trockenen Wald etwas Reisig und einige Äste. Kurz darauf brannte ein Feuer, wie es der Alte lange nicht gesehen hatte. Seine Wangen wurden rosig, und seine Augen wieder wach. Der alte Müller setzte sich an das Feuer und wärmte seine müden Knochen.
Da hatte der junge Köhler schon einen Kessel gefunden und hängte ihn über das Feuer. In der Küche fand er Schmalz und frisches Mehl. Das tat er in den Kessel und goss dann etwas Wasser auf. Aus seinem Bündel nahm er etwas Liebstöckel und einen Salzstein, den er unterwegs gefunden hatte. Auch dies tat er in den Kessel. Er rührte noch einmal, zweimal, dreimal um und sprach: „Fertig, heute Abend gibt es gebrannte Mehlsuppe.“ Beide aßen von der Suppe, bis sie satt waren.
Dem Müller wurde es wundersam warm, und er sprach: „Einen wie dich könnte ich gut brauchen. Bleibe hier, dann zeige ich dir das Müllerhandwerk.“ Ja, und schon hatte der Bursche einen neuen Meister.
Am nächsten Morgen besah er zuerst seine Habseligkeiten und schnürte sein Bündel. Dann schüttelte er sein Bett auf und legte die drei schwarzen Mäuse unter das Kissen. Anschließend ging er in die Küche, wo das Frühstück auf ihn wartete. „Heute wirst du auf das Mühlrad steigen“, sprach der Müller. „Wir haben kein Wasser und doch drei Säcke Getreide für den König zu mahlen. Du wirst das Rad mit deinen Beinen und deinen Armen drehen.“ Da tat der Lehrbursche wie ihm aufgetragen und drehte das Rad. Er tat dies den ganzen Morgen. Am Mittag glaubte der junge Bursche, das Mehl müsste längst fertig gemahlen sein, und sprang vom Rad. Doch der Müller sagte: „Für das Vieh genügt es, das Mehl einmal zu mahlen. Das Volk ist mit dreimal zufrieden. Doch für den König bedarf es noch einmal mehr.“ Also musste das Rad weiter gedreht werden.
Bis zum späten Abend. Da waren die drei Säcke Mehl so gemahlen, dass es für die Schlossküche genügen sollte. Der junge Bursche war von der schweren Arbeit so müde geworden, dass er erschöpft ins Bett fiel und sofort einschlief. Er schlief so fest, dass er nicht bemerkte, wie die drei Mäuse unter seinem Kopfkissen hervorkamen und aus der Mühle sprangen. Von dort rannten sie den Berg hinauf. Es war ein hoher Berg. Er war so hoch, dass er bis in die Wolken reichte. Oben angekommen, gruben sich die Mäuse in die Erde. Sie durchzogen den ganzen Berg mit ihren Tunneln. Dabei richteten sie alle dürren Grashalme auf und säuberten deren Wurzeln. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, waren alle drei Mäuse wieder unter dem Kopfkissen.
Am frühen Morgen kam der Nebel über die Berge. Er verfing sich an den dürren Grashalmen und wurde zu großen Wassertropfen. Sie rannen die Halme hinab in die Erde. Schließlich wurde es so viel Wasser, dass sich dieses in den Mäusetunneln sammelte und den Berg hinunterfloss. Im Bachlauf angekommen, schoss das viele Wasser zur Mühle und drehte das Rad. Vom Klappern der Mühle wurden der Müller und sein Lehrbursche wach. Der Müller staunte nicht schlecht. Er war sich sicher, so hatte sich das Rad lange nicht gedreht. Er rief nach seinem Lehrburschen, doch der schlug erst sein Bett auf und schüttelte sein Kissen. Da sah er, dass eine der drei schwarzen Mäuse weiß geworden war. Doch ihm war die weiße Maus so recht wie die beiden schwarzen, und so legte das Kissen wieder auf seine Mäuse.
Gleich nach dem Frühstück machten sich der Müller und sein Bursche auf den Weg zum Schloss. Die drei Säcke Mehl, die sie am Vortag gemahlen hatten, mussten geliefert werden. Als sie am Schloss ankamen, war der Verwalter nicht zufrieden. „Müller, selbst unsere Schweine bekommen feiner gemahlenes Mehl. In einer Woche findet ein großes Fest statt. Ich brauche sieben Säcke Mehl. Ich will, dass Du das Mehl so fein machst, dass selbst die Götter staunen mögen. Doch die drei Säcke lasse hier. Unseren Schweinen wird es genügen.“
Ohne einen einzigen Groschen für das Mehl bekommen zu haben, machten sich der Müller und sein Gehilfe auf den Weg zur Mühle. Wie sie dort ankamen, drehte sich das Rad noch immer, und sogleich machten sie sich an die Arbeit. Der Bursche schleppte einen Sack Getreide aus dem Kornspeicher. Der Müller legte den Hebel um, und der Mühlstein begann sich zu drehen. Das Getreide wurde einmal gemahlen, ein zweites, drittes und viertes Mal. Und weil das Mehl feiner werden sollte, ließen sie es noch ein fünftes Mal mahlen. Das taten sie mit dem zweiten Sack Getreide, mit dem dritten, vierten, fünften, sechsten und siebten Sack. Am Abend waren sie fertig und von der vielen Arbeit so müde, dass sie früh schlafen gingen.
In der Nacht schlichen sich die drei Mäuse unter dem Kopfkissen hervor und sprangen zur Mühle hinaus. Sie rannten und rannten und folgten dem Weg bis ins Schloss. Dort krabbelten sie zum Verwalter. Neben seinem Bett hatte er drei Säcke Mehl stehen. Jedes Mäuschen nagte ganz leise einen Sack an, dann schlichen sie sich aus dem Schloss hinaus und sprangen zurück zur Mühle. Noch bevor die Sonne aufging, waren alle drei wieder unter dem Kopfkissen. Inzwischen war wieder Nebel aufgezogen, und die Wolken streiften die Grashalme oben am Berg. Sogleich schoss das Wasser den Berg hinab in den Bach. Wieder drehte sich das Mühlrad. So schnell, dass davon der Müller wach wurde. Der junge Bursche aber schüttelte sein Bett auf und sah, dass eine zweite Maus über Nacht ganz weiß geworden war. Doch ihm waren die Weißen so recht wie die Schwarze. Da legte er das Kissen behutsam auf seine Mäuse und ging hinunter zum Müller.
Nach dem Frühstück luden sie die sieben Säcke Mehl auf einen Karren und machten sich auf den Weg zum Schloss. Dort empfing sie der Verwalter. Er nahm eine Probe des Mehls. „Müller, was sollen wir damit? Selbst unsere Schweine bekommen feineres Mehl. Doch Du hast Glück. Das Fest ist um sieben Tage verschoben worden. Gelingt es Dir, bis dahin sieben Säcke feinstes Mehl zu liefern, sollst du deinen Lohn bekommen.
Doch jetzt geh und lass das Mehl unseren Schweinen.“
Ohne jeden Lohn machten sich der Müller und der Gehilfe auf den Heimweg. Als sie bei der Mühle ankamen, machten sie sich sofort an die Arbeit. Wieder schleppte der Bursche das Getreide und der Müller setzte den Mühlstein in Gang. Das Getreide wurde fünfmal und sechsmal gemahlen. Dabei verschlossen sie alle Türen und Fenster, damit kein Luftzug das feine Mehl aufwirbeln konnte. Anschließend wurde das Mehl ein siebtes Mal gemahlen. Es war so pudrig und fein, selbst die Bäcker der vornehmsten Könige hätten ihren Augen nicht getraut.
Die beiden arbeiteten den ganzen Tag ohne Unterlass, bis sie am Abend in einen tiefen Schlaf fielen. Wieder schlichen sich die Mäuse davon und sprangen in das Schloss zum Verwalter. Neben seinem Bett standen drei Säcke Mehl vom Vortag und sieben weitere Säcke. Da bissen die beiden weißen Mäuse jeweils zwei Säcke an und die schwarze Maus drei. Als sie ihr Werk vollendet hatten, sprangen sie geschwind zur Mühle zurück unter das Kissen. Wieder war Nebel aufgezogen, und die Wolken streiften den Berggipfel. Sogleich schoss das Wasser den Berg hinab in den Bach. Wieder drehte sich das Wasserrad so schnell, dass davon der Müller wach wurde. Der junge Bursche aber schüttelte sein Bett auf und sah, dass über Nacht auch die dritte Maus weiß geworden war. Die drei weißen Mäuse gefielen ihm sehr. Er legte das Kissen behutsam auf seine Mäuse und ging hinunter zum Müller.
Nach dem Frühstück luden sie die sieben Säcke Mehl auf einen Karren und machten sich auf den Weg zum Schloss. Dort empfing sie der Verwalter. Der öffnete einen Sack, und sofort blies der Wind das feine, pudrige Mehl in die Luft. Als sich der weiße Nebel auf die Dächer und Zinnen gelegt hatte, staunte der ganze Hof. Alle raunten „Ahhhhhhh“ und „Ohhhhhhh.“ Es war, als hätte sich feiner Schnee über das Schloss gelegt. Als der König das sah, kam er höchstselbst hinunter und dankte dem Müller für dieses feine Mehl. „Unsere Feinbäcker werden daraus wahre Wunderwerke zaubern.“ Sprach er und war sich sicher: „Noch nie zuvor und nirgendwo sonst konnte ein König seinen Gästen so feine Backwaren zum Fest reichen. Ihr sollt Eure Belohnung haben.“ Er wies seinen Zahlmeister an, alle gelieferten Säcke mit purem Gold aufzuwiegen und verabschiedete sich.
Als der Verwalter das hörte, eilte er in seine Gemächer, um die anderen Säcke zu holen. Auch diese wollte er wiegen lassen und das Gold für sich behalten. In Gedanken ganz beim Golde, bemerkte er gar nicht, wie alles Mehl aus den von den Mäusen angenagten Säcken rann. Ein Sack um den anderen war leer, als er ihn dem Zahlmeister auf die Waage legte. Doch weil sie allesamt leer waren, wogen sie nichts, und so gab es für die ersten zehn Säcke kein Gold. Da wurde der Verwalter zornig und schrie: „Müller, was sollen wir mit zehn leeren Säcken. Ihr wollt uns wohl zum Narren halten.“
Doch der Zahlmeister ging der Spur von Mehl nach und erkannte, dass diese direkt in die Gemächer des Verwalters führte. Da musste der Dieb seine Tat gestehen. Mit Schimpf und Schande musste er das Königreich verlassen und wurde niemals wieder gesehen. Dem Müller jedoch, dem gab man seinen verdienten Lohn. Und mehr noch: Weil die leeren Säcke nicht mehr zu wiegen waren, verdreifachte man das Gold.
Da dankte der Müllermeister und ging mit seinem Lehrburschen zurück zur Mühle. Dort beschied er seinem Lehrling bestes handwerkliches Geschick und gab ihm seinen Lohn. Der junge Müller bedankte sich, nahm die drei Mäuse und schnürte sein Bündel. Dann verabschiedete er sich und ging seiner Wege.
Der alte Müller jedoch, der setzte sich zur Ruhe und ließ es sich alle Zeit gut gehen.
Sie sind Redakteur oder Blogger und haben Interesse an meinem Buch? Dann genügt ein kurzes E-Mail-Anschreiben mit Angabe "Der Circus Zweimalsohoch" und Ihrer Versandadresse an presse@bod.de
Sie bekommen dann umgehend das gedruckte Gratisexemplar meines Buchs.